„Sind noch Maultaschen da, willste welche?“, fragt meine Erzeugerin, als ich von der Schule heimkomme. Ja, ich nehme welche, wieder zu wenig gegessen in letzter Zeit. Während ich esse bleibt sie in der Küche, ungewöhnlich, kommt aber in letzter Zeit manchmal vor.
Danach setzt sie sich auf ihren Stuhl, neben mir. „Ich hätte noch was… ich möchte, dass wir alle noch einmal gemeinsam irgendwo hin gehen.“ „Ich gehe aber nicht mit in den Urlaub“ „Warum?“ Ich lache. „Das geht nicht, mit dem Auto, das ist viel zu wenig Platz, das geht nicht mehr, ich will das nicht mehr. Einen Tag einen Ausflug irgendwohin, okay, aber mehr nicht.“ „Wir könnten ja auch nur mit dem Zug fahren, paar Tage in irgendeine Stadt, Berlin, was das dich auch interessiert, irgendwas. Nach diesem Sommer wird nichts mehr sein wie es war, du wirst weg sein… auch für deine Brüder… sei mir bitte nicht böse wenn ich heule, das bewegt mich, da heule ich immer… ich will ja nichts schönreden was bei uns gelaufen ist, aber es gab doch auch schöne Zeiten, die gab es doch…“ Ich sage ihr, dass ich darüber nachdenke.
Ja. Dein Sohn ist jetzt so alt wie du damals. Und bald ist er weg. Und du machst dir wohl keine Illusionen, er wird weg bleiben, soweit es denn geht. Die 20 Jahre sind für dich viel zu schnell vorbeigegangen, und auf einmal erkennst du: du bist nicht mehr viel jünger als deine Mutter damals. Macht es dir Angst? Ich weiß es nicht.
Als ich 15 war, haben Opa und Oma gesagt: „Wir möchten, dass jedes der Kinder noch einmal ein paar Tage alleine bei uns ist. Bald wird es zu spät sein.“ Genau drei Jahre später war es so, wie es niemand je gedacht hätte.
Heute hat M. zu mir gesagt: „Dein kleiner Bruder wird immer cooler.“ Der ist jetzt auch 15. Wie ist er in ein paar wenigen Jahren? Dann sind wir in den kleinen Park hinter der Schule gegangen, haben eine geraucht. M. raucht normalerweise nicht, aber heute hat er mich auf eine Kippe eingeladen. Auch hier: die Zeit wird knapp.
A. fährt mit mir am Freuitag mit der Bahn zu IKEA, Geburtstagsgeschenk kaufen für J.s 18ten. Die letzte große Fahrt? Wer weiß.
M. (anderer M.) hat mich heute nach meiner Handynummer gefragt, wir müssen unbedingt nochmal was machen, wahrscheinlich wenn sein Austauschschüler da ist. Irgendwie macht es ihn traurig dass ich weggehe, hätte ich nie gedacht.
So viele Leute merken auf einmal, dass es ernst wird. Und ich? Ich denke nicht darüber nach, will nicht darüber nachdenken.
Morgen schreibe ich die letzte Schulklausur meines Lebens, Geschichte, Weimarer Republik. Nachmittags bin ich mit V. dann beim Bürgermeister, wegen dem Jugendforum. Vielleicht auch so etwas wie ein Geschenk zum Abschied, an den Ort.
Und irgendwann, irgendwann sind das alles nur noch blasse Erinnerungen.
Dann sitzen wir auf den Parkbänken, füttern Tauben. „Weißt du noch, damals, als der weggegangen ist?“ „Wer?“ „Ach, der D., der im Rollstuhl… hab bestimmt schon 50 Jahre nichts mehr von ihm gehört… ob es den wohl noch gibt?“ Daheim warten unsere Frauen, und sie sind alt geworden, und faltig, aber wir auch. Doch wir lieben uns, auch wenn wir uns schon lange nicht mehr geküsst haben. Und sind stolz, wenn die Enkel vorbeikommen, die sind schon so groß, der Kleinste hat gerade den Führerschein gemacht.
Die neue Generation kommt. WIR sind die neue Generation. Scheiße.